Freitag, 25. Mai 2012

Atlantik-Überfahrt Madeira --> Portugal 18.05. - 22.05.2012

Einen Tag früher als geplant und erwartet stehe ich, Sock, unter der ersehnten, heißen Dusche in der Marina in PORTUGAL – LAGOS und  wasche mir die dicke Salzkruste von meiner Haut und, zugegeben, den auch etwas sehr männlichen Geruch, nach fast 4 Tagen ohne Dusche. Neben mir in der Dusche Tim, der gefühlt noch etwas strenger roch, und sich ausnahmsweise nicht lange bitten lassen musste, zu duschen.

Ich lasse mir unseren Segeltrip von Madeira nach Lagos nochmal durch den Kopf gehen. Die unentwegten Gedanken daran und das Aufgeputschtsein werden uns noch 1-2 Tage länger begleiten, das Adrenalin im Blut muss erst abgebaut werden nach diesem Teufelsritt, aber dazu später mehr.

Eine Tapferkeitsmedaille verleihe ich Tim und Canan in Gedanken unter der Dusche. Großartig, Herzen eines Löwen alle beide, 560 Seemeilen unter anstrengenden Bedingungen bravourös gemeistert.
Tim hat 1700 Seiten Buch gelesen während der 84-stündigen Überfahrt, immer vergnügt und stoisch gelassen, obwohl das alles andere als eine gemütliche Spazierfahrt war. Lesen, essen, schlafen, singen, das war Tim’s Motto. Bravo, ich bin stolz. 9 von 10 Menschen würden in einer solchen Situation einfach nur große Angst haben.
Canan hat sich einmal mehr als Seewölfin gezeigt.  „Ich kann nicht mehr Sock, muss schlafen, komm bitte“, sagt sie z.B. am Sonntag, dem 3. Tag der Reise, früh am Morgen nach ihrer Nachtwache zu mir. Während ich mich mühsam, nach schlafloser Pause, aus der Koje erhebe und in meine nasse Schwerwetterkleidung quäle, geht sie wieder zurück ins Cockpit (= nach draußen). 10 Minuten brauche ich um mich fertig zu machen – Canan wird allein in dieser kurzen Zeit 2x von über das Boot hinein brechenden Wellen heftig ganzkörper-geduscht. Und der Wind peitscht ihr die Gischt permanent ins Gesicht – es ist Sturm.
„Was machst Du da draußen?“, frage ich sie, als ich sie ablöse, „Warum bleibst Du nicht drinnen und gehst nur ab und zu mal raus?“. Frau mit Löwenherz sagt: „Ich war sowieso 5 Stunden im Cockpit. Wir hatten Windböen mit über 40 Knoten (= 75 km/h = Sturm), ich muss doch wachsam sein!“.  Da schmilzt mein Herz, welch eine Frau denke ich. Seewölfin!


76 der 84 Stunden sind wir gesegelt. Immer Kurs „Am Wind“, Windstärke meist 6-7, gelegentlich auch 8. „Am Wind“ – Kurs, das heißt Krängung, das Boot hat starke Schräglage, welche jede Bewegung sehr schwierig und anstrengend macht. Zuerst geben wir Gas und machen, trotz Reff 2 und später durchgehend Reff 3 (= kleinste verfügbare Standard-Besegelung)  mehr als 8 Knoten Fahrt. Irgendwann geht’s zu sehr auf die Knochen und auf’s Material – wir nehmen die Geschwindigkeit und Krängung etwas zurück. Dennoch – Etmale (= gesegelte Distanz in 24 Stunden) von 165 und 172 Seemeilen erreichen wir.

„Böse“ Wellen, um Tim’s Terminologie zu gebrauchen, haben wir, der davon die „lieben“ Wellen unterscheidet. Die „Lieben“, das ist Schwell, aufgebaut in Stürmen viel weiter im Norden des Atlantiks, der das Boot, auch wenn die Wellenhöhe 5 Meter ist, eher sanft trägt und haushoch hebt und wieder fallen lässt. Wie auf einem Schaukelpferd. Die „Bösen“ dagegen, wenn auch „nur“ 2 bis 3 Meter hoch, bescheren einen Ritt wie auf einem wilden Bullen. Windwellen, aufgepeitscht und aufgebaut durch Starkwind und Sturm in deinem Segelgebiet, schlagen auf das Boot ein wie ein Vorschlaghammer, reißen  es hin und her, heftig stampfend, die Gischt fliegt, regelmäßig kommen Brecher über. Schlafen, fast unmöglich bei den heftigen Bewegungen des Bootes und der Geräuschkulisse aus pfeifendem Wind, brechenden und schlagenden Wellen, dem Gurgeln des Ozeans, klappernden Leinen usw.. Permanent angeschnallt sind wir natürlich, eine Hand wird immer gebraucht zum Festhalten. Im Boot bewegen wir uns wie Gibbon-Affen mit ihren langen Armen – im passenden Moment läßt du einen Halt los, um dich zum nächsten zu schwingen. Manchmal klappt dies auch nicht und du wirst ziemlich rabiat durch's Boot geschleudert, blaue Flecken erinnern uns daran.

Am Montagmorgen gönnen wir uns eine kleine Verschnaufpause, ziemlich erschöpft sind wir. 6 Stunden motoren wir, Krängung aus dem Boot genommen. Sock hatte sich kurz zuvor auf der Toilette mit dem Winkel verschätzt und sich benäßt, danach ist ihm der schwere Deckel des Kühlschranks, bei der Suche nach der geliebten Bockwurst, auf die Stirn geknallt – es gibt Momente, in denen man Segeln nicht uneingeschränkt liebt. Canan schläft 3 Stunden, wir können unsere nassen Sachen ein bisschen trocknen, ein Frühstück machen. Danach geht’s unter Segeln am Wind weiter, der am Montagnachmittag auf Windstärke 5-6 abflaut und uns in der Annäherung an Portugal herrliches, entspanntes Segeln unter strahlender Sonne schenkt.

Bewusst wollen wir erst nach Mitternacht in der Marina in LAGOS ankommen und machen die letzten Meilen langsam. Um 02.30 h am Dienstagmorgen liegen wir fest längsseits des Empfang-Steges und trinken unser Einlaufbier. Das Gehen an Land fällt etwas schwer – alles so gerade und ruhig dort.

Diese 560 Seemeilen haben uns gefordert, dennoch – toll war’s, unvergesslich und großartig für jemanden, der Segeln liebt und der verrückt genug ist, diese Strapazen auf sich zu nehmen und es auch noch zu genießen. Erzählstoff für die Enkel ist es allemal - "Hey, Oma und Opa", werden sie dann vielleicht zu uns sagen, "erzählt doch noch einmal von eurer Segelreise. Den Stürmen, Walen und Delphinen, den vielen Ländern".


1 Kommentar:

  1. It sounds as if you had a trip which tested you all, and that each and every-one of you passed with flying colours ! Well done,I am very proud of you all.

    I may be a trifle biased, but I also think Canan is a remarkable woman [runs in the family ;-)].

    Love you all, enjoy Portugal[which, of course, Timmy used to win at swimming!] xxx

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