Leinen los heißt es um 19.35h am Samstag, 27.08., in Kreta-Chania. Die Wettervorhersage für die nächsten 3 Tage lautet Wind aus Nordwest und West, 2-5 Beaufort. Ein update der Wetterlage und -vorhersage während der Reise soll uns möglich sein per NAVTEX und SailMail / Pactor.
NAVTEX arbeitet auf einer Mittelwellenfrequenz, Reichweite ca. 350-400 Seemeilen, und ermöglicht den Empfang von Textnachrichten mit z.B. Navigations- und Wetterwarnungen und Wettervorhersagen. Die Wetterberichte beziehen sich jedoch auf relative große Seegebiete, z.B. "Südionisches Meer". Heißt es dort "westliche Winde", so kann lokal dieser Wind aus Südwest oder auch aus Nordwest wehen - für einen Segler, und uns, macht dies einen großen Unterschied.
Mit unserem Kurzwellenfunkgerät, weltweite Reichweite, und dem angeschlossenen PACTOR-Modem, können wir über Funk, mittels SailMail und laptop, e-mails empfangen und senden sowie Wetterdaten z.B. als GRIB-Datei abrufen. Grib-Dateien stellen für das ausgewählte Seegebiet u.a. die zu erwartende Windrichtung und -stärke recht detailliert dar und sind gute Entscheidungshilfe.
Die ersten 16 Stunden läuft es gut. Wind 2-3 Bft., zunächst Nordwest, später sogar auf Nord-Nordost drehend. Wir hätten direkten Kurs auf Malta nehmen können. Da ich für später jedoch eine ausgeprägte westliche Komponente in der Windrichtung erwarte, setzen wir den Kurs weiter nördlich fest, um Höhe zu gewinnen. Zeitweise können wir sogar den Gennaker setzen, sehr wertvoll in den Schwachwindphasen mit 2 Bft.. Das erste Etmal (= Strecke in 24 Stunden) ist mit 131 Seemeilen nicht schlecht.
unter Gennaker |
Sonnenuntergänge wie gemalt |
Wir ersegeln uns 30 Seemeilen Höhe gegenüber dem direkten Kurs - später werden wir sie gut gebrauchen können. Den Motor nutzen wir grundsätzlich dann, der Kurs ein Mix aus "Strecke machen" und leicht "Höhe gewinnen", wenn der Wind sehr schwach ist oder aber schwacher Wind direkt auf die Nase weht und eine Kreuz unter Segeln wenig sinnvoll macht.
Ferner ist als Plan B festgelegt, ggf. nach Südost-Sizilien auszuweichen. Dies ginge bei dieser Taktik und ist auch immer wieder Gesprächsthema zwischen uns. "Pizza wäre auch ok." Schön, dass wir eine solche Freiheit haben.
Es ist Neumond, auch während der folgenden 3 Nächte. Die Nacht tiefschwarz. Nur die Milchstrasse wirft schwaches Licht. Für Nichtsegler: das Gefühl ist ein bißchen so, wie ohne Scheinwerfer mit dem Auto eine unbeleuchtete Landstrasse zu befahren.
In der Nacht vom 28. auf 29. tobt ein mächtiges Gewitter über dem südlichen Peleponnes, ca. 20 Seemeilen hinter uns. Blitze, die ins Meer einschlagen, der Himmel durch die Blitze erleuchtet bis zum Horizont. Gewaltig. Ich peile immer wieder sorgfältig die Zugrichtung - es bleibt hinter uns, Erleichterung.
Phasen von motoren und segeln am Wind (überwiegend, ca. 60%) wechseln sich ab. In der Nacht vom 29. auf den 30. dann endlich einmal 4 Windstärken - jetzt zählt's, hier können wir gute Seemeilen gen Malta machen. Konzentriert bleiben während unserer jeweiligen Nachtwachen Canan und ich hoch am Wind, der aus West-Nordwest bis Nordwest kommt. Jede Bö wird zum Anluven ausgenutzt. Dies erfordert permante Wachsamkeit und Bedienung des Autopiloten, es lohnt sich. Wir rauschen durch die Nacht, geben nur ca. 10 Seemeilen unserer zuvor gewonnen Höhe ab, und machen gut Strecke.
Tim's Ferien sind vorbei. Er hat am 30. die erste Unterichtsstunde der 5. Gymnasialklasse (Institut für Lernsysteme, Hamburg), mit Mathe geht es los. Der dresscode ist leger, eine Badehose oder ein Short wird aber schon erwartet. Ab sofort hat Tim nach Stundenplan 30 Wochenstunden Unterricht zu absolvieren.
Klassenzimmer auf See |
Am Dienstag ab Mittag dann Schwachwind, 1-2 Bft. Wind aus West und West-Südwest - in die Richtung müssen wir. Leider funktioniert aus einem unerfindlichen Grund unser SailMail/Pactor nicht mehr. Einfach so, von einem Tag auf den anderen. Ärgerlich. Wir können keine Grib-Wetterdaten abrufen und auch ein e-mail unseres Freundes Stefan aus Hamm mit aktueller Wettervorhersage nicht. Immer wenn man mal wirklich etwas gut gebrauchen könnte....
Da ich auf Basis der veralteten Wetterdaten auch für Südost-Sizilien Schwachwind erwarte, ggf. auch Notwendigkeit zur Kreuz, ist die Entscheidung schnell getroffen - Dieseltank auffüllen und unter Motor direkten Kurs auf Malta-Valetta. 135 Seemeilen sind es noch. Wir motoren grundsätzlich nicht gern (langsamer, laut, weniger umweltfreundlich, teuer), aber kein Wind und der auch noch genau von vorn - das macht keinen Sinn, es sei denn, wir wollen noch 1 Woche auf See verbringen.
Wir bahnen uns am Mittwochnachmittag unseren Weg durch die zahlreichen Tanker und Frachter, ich zähle 55, die vor Malta vor Anker liegen. 10 Seemeilen vor Hafeneinfahrt Valetta (genauer: Marsamxett) melden wir uns per Funk, VHF Kanal 12, bei "Valetta Port Control" an. Sie nehmen es genau, wir müssen Positionsmeldungen noch zweimal abgeben und einige Fragen beantworten.
Unter den vielen Tanker auch wieder einer, den die NATO im Zusammenhang mit dem Libyen-Krieg und Embargo "an die Kette" gelegt hat. Wir hatten auch bei Kreta schon 2 Tanker gesehen, die im Status "not under command, waiting for orders" (Informationen kommen aus unserem AIS-System) mit 1/2 Knoten Fahrt ihre Kreise ziehen. Offensichtlich dürfen sie ein zugewiesenes Seegebiet nicht verlassen, verharren dort Tage oder vielleicht Wochen, im Kreis fahrend.
Das Radar erweist sich in Küstennähe wieder als sehr hilfreich. Es sind einige kleine Fischerboote unterwegs, die auf Sicht kaum auszumachen sind.
Nach Sonnenuntergang ist Valetta/Marsamxett erreicht, Kurs auf die Einfahrt zur MSIDA CREEK MARINA, vorbei an den mächtigen Burgen auf beiden Seiten.
Tim und Canan auf dem Vorschiff, Ausguck haltend. "Bist Du blind Sock?", ruft Tim, "Du krachst in die Stege". Tatsächlich, die hatte ich nicht gesehen. Schnelle Kursänderung nach Backbord. Die 2 Schwimmstege, direkt bei der Einfahrt zur Marina, sind neu, sehr schlecht beleuchtet, in den Handbüchern und auch in der elektronischen Seekarte nicht verzeichnet.
Um 21.38h sind wir fest an einer Mooring an der Mole für Gästelieger. Beindruckt von der umgebenden Kulisse öffnen wir unser kaltes Einlaufbier. 80% Luftfeuchtigkeit, sehr warm.
Tim hat die lange Reise vorbildlich gemeistert. Stets vergnügt, sehr viel gelesen, viel geschlafen, immer hungrig, voller Vorfreude auf MALTA. Toll Tim!